"Oh, der ist aber anstrengend, der ist nicht normal!"
Diese Worte höre ich ähnlich sehr oft. Und sie machen mich wütend, denn kommen sie oft von Leuten, die nur einen Schnipsel unseres Alltags mitbekommen. Sie stecken nicht in unserer Haut, kennen unser Kind nicht. Mehrere Begegnungen mit Fremden schockieren mich noch mehr: Wie können sie behaupten, dass mein Kind nicht normal, gar anstrengend ist? Dass es falsch erzogen wurde?
Dank anderer Elternbloggerinnen und Elternratgeberinnen kann ich nun behaupten: mein Kind ist nicht unnormal, es ist gefühlsstark. Diesen Begriff hat wohl Nora Imlau geprägt. Eine tolle Besprechung zu ihrem Buch gibt es auf Statdlandmama:
Bitte, bitte mehr davon. Ich finde es so wichtig zu lernen, dass mein Kind nicht unnormal ist. Es zeigt seine Gefühle eben besonders stark und häufig. Maria Mewes fasst es in ihrem Tweet zusammen:
Das Buch: So viel Freude, so viel Wut: Gefühlsstarke Kinder verstehen und begleiten
Das Buch kommt auf meine Leseliste! Dann kann ich vielleicht endlich gegenüber Außenstehenden argumentieren, statt ihre verletzenden Worte einfach runterzuschlucken.
Ich verstehe nicht, warum man fremden Kindern und Eltern immer einen Stempel aufdrücken muss. Ich fühle mich verletzt, wenn wieder eine Außenstehende (es sind immer Frauen) mein Kind verurteilt, es sogar als unnormal bezeichnet.
Was sie sahen: Ein Kind, das am Süßigkeitenautomaten im Krankenhaus einen riesigen Bockanfall hat. Es schrie, wütete und war richtig traurig. Laut traurig. Das geht doch so nicht!
Was sie nicht sahen: Wir versprachen dem Kind nach der Mandel-Operation und Ohren-OP, dass es sich etwas aus dem Automaten aussuchen darf. Leider waren Milchprodukte vom Arzt verboten, sodass wir nicht das Gewünschte kaufen konnten. Die Narkose saß noch tief, wir wollten unser Versprechen halten und hielten die starken Gefühle aus. Unser gefühlsstarkes Kind, das wegen der Umstände noch aufgewühlter war.
Was sie sahen: Ein Kind, das die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Es redet laut, stellt sich in den Vordergrund, wird starr vor Aufregung, es will nicht, dass die Eltern sich um die Geschwister kümmern. Die Frau sprach mich an, machte mir ein schlechtes Gefühl, empfahl, dass wir uns Hilfe holen, sonst würde das böse enden!Sie sah uns nur 30 min auf dem Spielplatz.
Was sie nicht sahen: Kinder sind Kinder. Natürlich ist es auf dem Spielplatz lauter. Sie wissen nicht, wie wir zu Hause, im Alltag, mit unseren Kindern umgehen. Wir kümmern uns, lesen vor, geben Liebe ab, verteilen diese, mal mehr, mal weniger verstreut. Wir geben uns Mühe. Ein schlechtes Gewissen hilft niemandem.
Was sie sagten: Der hat ADHS. Der ist nicht normal. Der ist zu laut. Der nervt. Der ist zu wirbelig. Was schreit der hier so rum? Was brüllt der "du Schwein! Du Kackwurst!"? Das geht doch nicht!
Was sie nicht sahen: Dass mich das unglaublich verletzt, was sie sagen. Kinderärztinnen und -ärzte waren bisher nicht besorgt. Und wir auch nicht! Es ist ein ganz normales Kind, das um Aufmerksamkeit bangt. Kein Wunder, es hat zwei Geschwister, zwei Eltern, die voll arbeiten und kürzlich ein Haus kauften.
Ja, es ist anstrengend, wenn man angeschrien wird. Doch dann ist da noch etwas dahinter, das wir aufklären müssen. Es liegt nicht daran, dass mein Kind nervt. Es schreit nicht, weil es uns nerven will, es möchte Liebe haben und sucht gerade nach einen Weg, diese zu bekommen. Und wir helfen ihm dabei.
Mit drei Kindern ist es immer wuselig im Haus, stets turbulent. Sicher kann man einem Kind nicht immer sofort die Aufmerksamkeit widmen, weil mal wieder woanders ein Glas Milch umfällt oder man gerade mit einem anderen Kind beschäftigt ist.
Das ist das Ding: Bin ich allein mit meinem Kind, ist es ruhig, "artig", lieb, redet freundlich und leise. Das ist keine Krankheit, die er hat. Er sucht sich auf seine Weise Aufmerksamkeit. Das mag für Außenstehende zu laut, zu nervig, zu anstrengend sein. Ist es für uns auch.
Doch wir werden einen Weg finden, wie wir durch den auch für ihn schwierigen Alltag mit Geschwistern meistern - ohne Perfektion, dafür mit Liebe.
Perfekte Erziehung gibt es nicht. Aber das müssen Außenstehende einem ja nicht unter die Nase binden. Wenn man keine Ahnung hat, ...
Alu von Große Köpfe hat auch einen wunderbaren Text über ihr Kind geschrieben, das andere als "Arschlochkind" bezeichnen.
Und auch hier nochmal die Erinnerung an mich selbst - bloggen therapiert ja - aktives Zuhören nach Gordon kann Wunder bewirken. Das ist zusammen mit der Familienkonferenz wirklich hilfreich im Alltag. Man muss sich allerdings Zeit nehmen und nicht das Steuer allein übernehmen wollen. Gemeinsam Themen besprechen und Lösungen finden statt bestimmen. Das ist sehr nützlich - wenn man es denn versucht.
Erzählt mir gerne, was eure Erfahrungen mit übergriffen Menschen sind. Habt ihr auch etwas in diese Richtung erlebt? Wie reagiert ihr in diesen Fällen?
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Als Dreifachmama habe ich häufiger ein krankes Kind zu Hause. Und dann heißt es: Einer von uns muss das kranke Kind betreuen. Da viele der 113 Beschäftigungsideen für Kinder nur für gesunde Kinder passen, zeige ich dir 10 Ideen, wie du ein krankes Kind beschäftigen bzw. versorgen kannst.
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Horizontal Parenting - wie konnte der Trend an mir vorbeigehen? Dabei ist das ein so cooler und einfacher Lifehack für Eltern, man könnte weinen vor Erleichterung. Die Umsetzung ist leicht und fällt nicht nur geschafften Eltern leicht. Denn ehrlich: Die meisten Eltern sind oft erledigt und können Erleichterungen gut gebrauchen.
Ach, so sind die Menschen in Deutschland. Ich kenne das gut.
Mir geht es seit unseren 9 Monaten in Asien so viel besser mit allem. Denn dort war er nicht zu laut, zu wild, zu lebendig. Im Gegenteil. Dort war mein Sohn der Star, wohin er auch ging, wurde mit Attributen wie "strong boy" oder "handsome" geschmückt und jeder wollte etwas mit ihm zu tun haben.
Ist also alles Ansichtssache.
In unserer Gesellschaft wurden solche Kinder lange mit Strafen und "Erziehung" klein gehalten. In der aktuellen Eltern Generation weigern sich immer mehr, das zu tun - und stoßen damit auf Unverständnis. Weil es das "früher ja nicht gegeben hätte" ...
Liebe Hanna,
danke für den Kommentar!
Stimmt, das Kulturelle ließ ich außen vor. Warum ist das eigentlich so in Deutschland?
Sehr schade!
Danke für die Aufklärung!
Ich habe zwei Nichten, die ich leider viel zu selten sehe und einen immensen Wutanfall weil kein Schnee zum Schlitten fahren da war nicht verstanden habe.
Ich war einen Nachmittag da, was weiß ich denn vom Rest?! Ich habe auch nichts gesagt, das steht mir gar nicht zu.
Danke, Aufklärung ist gut. Schade, dass Menschen ohne Wissen "Wissen" verteilen wollen...
Liebe Iris,
danke dir für den Kommentar!
Finde ich gut, auch mal Feedback "von der anderen Seite" zu bekommen. 🙂
Aber ganz ehrlich: früher habe ich mit den Augen gerollt, wenn mal wieder ein "Tyrann" gebockt hat.
Viele Dinge weiß man erst, wenn man mitten drin ist. Auch, was nicht ok ist.
Danke dir! <3
Liebe Grüße
Sarah
Danke für diesen Artikel! Interessant: meiner Frau passiert das ab und zu, mir nie. Ich glaube das liegt daran, dass ich regelrecht darauf lauerte, dass so jemand es wagt aus meiner Sicht so übergriffig zu werden - denn das ist es, eine Verletzung meiner Privat- und Persönlichkeitssphäre. Solche Leute suchen aber keine Gegner, die wollen nur ihre Meinung loswerden. An einer Diskussion wären die auch gar nicht interessiert, da würde ich mich ja drauf einlassen.
Zur Gefühlsstärke: man muss da auch einfach mal über sich selbst nachdenken, was man alles so nicht mit sich machen lassen würde, und wie viel Widerstand man leisten würde. Mein Kind sieht das ja auch bei mir und hat diesen eigenen Kopf von Natur aus. Ihm das abzugewöhnen hieße es zu brechen. Aktives Zuhören und Kooperation ist der Mittelweg, bei dem sich die Bedürfnisse beider Seiten treffen.
Hi Jonas,
hach, das ist sicher ein Persönlichkeitsding. Mein Mann würde da auch anders reagieren.
Dein Tipp zur Gefühlsstärke ist sehr wertvoll, das geht ja oft unter, wenn der Alltag so trubelig ist. <3
Liebe Grüße
Sarah
Ein Kind zu haben, das nicht so funktioniert wie die meisten, ist eine große Aufgabe. Mich verletzen am meisten belehrende und überhebliche Statements von Eltern (und Erziehern oder Lehrern) mit angeblich pflegeleichten, gut angepassten und wohlerzogenen Kindern. Es ist aber nur ein Bruchteil die "herausragende" Leistung dieser Eltern sondern die angeborene Veranlagung der Kinder, wie stark sie ihre Gefühle wahrnehmen und Probleme damit kompensieren können. Auf die klugen Ratschläge, man müsse nur mal konsequent sein etc., wäre man doch glatt selbst gekommen...
Ich habe einen 10jährigen hochbegabten Sohn, der ebenfalls sehr gefühlsstark ist. Leider ist mein Fell immer noch nicht dick genug für all die Ausgrenzung die das so mit sich bringt...
Alles Gute für Euch.
Liebe Ellen,
oje, das klingt furchtbar. 🙁
Danke für deinen Kommentar und alles, alles Gute für euch!
Ich verstehe nicht, warum das von außen so schwer gemacht wird. Ein wenig Verständnis würde jedem helfen.
Liebe Grüße
Sarah
Ich habe auch einen kleinen "Wirbelwind", der manchmal lauthals seine Meinung äußert. Gerade von der etwas älteren Generation wird man dann oft schief angeschaut und sie müssen auch noch einen Kommentar abgeben. Das ist in Österreich nicht besser als in Deutschland;-) Ich ärgere mich nicht darüber, denn andererseits bekommt man von "gefühlsstarken" Kindern ganz, ganz viel Liebe zurück.
Liebe Grüße aus Österreich, Michaela
[…] Gefühlt nimmt er es gelassen, die Liebe zu ihr scheint riesig zu sein. Wenn auch er ein sehr gefühlsstarkes Kind ist, was Externe oft zur Verzweiflung oder zumindest zu dämlichen Kommentaren […]
[…] wird. Meine jüngsten Kinder würden in verschiedene Gruppen kommen. Das wird schlimm, für den Mittleren, der so sensibel ist, dachte ich. Über meine Tochter machte ich mir vorab keine Gedanken. Ihre Bezugserzieherin […]
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