Martin
18. November 2015
(Aktualisiert: 12. Januar 2021)

Wie ich Vater wurde

Geburten sind ja eher so ein Frauending. Männer sind dazu unfähig, auch wenn sie vielleicht gerne möchten. Und wenn unter Frauen das Thema auf Geburten kommt, hört man als Mann bei den blutigeren Details besser weg, wenn man sich wochenlange Alpträume ersparen will.

Frauen berichten auch oft und gerne über Geburten, habe ich den Eindruck. Meist (korrigiert mich, wenn ich falsch liege) lesen sich diese Berichte erstaunlich sachlich. Wie lange hat's gedauert, was ist passiert, welche Medikamente wurden gegeben, wie schwer und groß war das Kind? Manchmal klingt das eher nach Sportberichterstattung. Aber so eine Geburt ist viel größer als diese Fakten. Sie ist der definierende Moment im Leben der Eltern, der Punkt, an dem aus zwei Liebenden zwei Eltern werden. Ab dann ist nichts mehr so wie vorher.

Baby ist 2 Monate alt - mamaskind.de

Inhaltsverzeichnis

Die Geburt

Dabei fängt so eine Geburt erst mal recht harmlos an. Mitten in der Nacht weckt dich deine Frau mit einem ganz bestimmten Gesichtsausdruck, eine Mischung aus Euphorie und Angst und du weißt: jetzt wird's Ernst. Du ziehst dich schnell an, hilfst deiner Frau, die in dieser Zeit mehrmals das Gesicht vor Schmerzen verzieht und dann fährst du wie der Teufel durch die nächtlichen, einsamen Straßen deiner Stadt zum Krankenhaus. Du hilfst deiner Frau aus dem Auto, stützt sie und bringst sie irgendwie ins Krankenhaus, den Fahrstuhl hoch und rein in den Kreißsaal. Den kennst du schon, du hast ihn neulich besichtigt. Die Hebamme hatte damals alles genau erklärt und es schien recht einfach, sicher und sehr harmonisch. Das Muttermund-Mobile war der Knaller. Die gedämpften Schreie aus dem Nachbarzimmer haben du und deine Frau damals unsicher weggekichert und danach fleißig verdrängt.

Dann beginnt die zweite Phase der Geburt: das Warten. Der Wehenschreiber tuckert vor sich hin, du hörst das Herzchen deines Kindes schlagen, du streichelst deiner Frau langsam über den Arm. Alles ist ruhig. Dann kommt die Wehe. Deine Frau bäumt sich auf, brüllt - und du kannst nichts tun. Du kannst ihre Schmerzen nicht lindern und stehst daneben und bist völlig hilflos. Du kannst nur ihre Hand halten, die deine Hand während der Wehe zu Brei quetschen wird und du weißt: das ist nur ein Bruchteil der Schmerzen, die sie gerade aushalten muss. Dann beruhigt sie sich langsam und es kehrt wieder Ruhe ein - bis zur nächsten Wehe. Das geht ein paar qualvolle Stunden so. Und wenn du dich gerade daran gewöhnt hast, geht die Sache in die dritte Phase über.

Das Kind kommt. Der deutlichste Hinweis darauf ist die Zunahme von Aktivität um dich herum. Die Wehen kommen jetzt so schnell, dass deine Frau kaum Zeit zum durchatmen hat. Deine Hilflosigkeit der letzten Stunden steigert sich in pure Verzweiflung. Du möchtest die Hebamme und die mittlerweile anwesende Ärztin anbrüllen, doch endlich mal was gegen das Martyrium deiner Frau zu tun, aber das wäre sinnlos, denn viel machen können sie nicht. Du bist in einem Traum, einem Alptraum, schlimmer als jeder, aus dem du bisher schweißgebadet aufgewacht bist, denn das hier ist echt, ein Wirbel aus Schmerzen, Schreien und Blut. Und dann - urplötzlich - wird es still. Es folgt eine Zeitspanne, ein paar Minuten, in der die Welt aufhört zu existieren, es gibt nur noch deine Frau und Blut und dich und Blut und ein Kind, das jetzt gleich da ist. Dann die letzte Wehe, ein letzter Schrei - und dann ... noch einer.

Und die Hebamme hält ein rosa-blaues, schmieriges, sehr wütendes Etwas in den Händen und dir wird eine Schere in die Hand gedrückt und eine fleischige, rosa Schnur entgegengehalten und einen absurden Moment lang fragst du dich, ob sich so wohl C-Promis bei der Eröffnung eines Baumarktes fühlen. Dann schneidest du tapfer und aus einem Organismus werden zwei. Während sich die Hebamme um das wütende Etwas kümmert, schaust du deiner Frau in die Augen, die jetzt wie aus einem Traum erwacht und Erleichterung verbreitet sich - und Stolz.

Damit beginnt die vierte Phase der Geburt. Nach einer Weile ebbt das geschäftige Tun im Kreißsaal ab, deine Frau ist versorgt, das Kind mollig warm eingepackt. Die ersten Strahlen der Märzsonne filtern durch die Gardinen des Kreißsaals. Frieden macht sich breit. Müde und hungrig sitzt du da, an diesem schrecklichsten, schönsten Tag in deinem Leben, neben deiner Frau und hältst ein Kind in den Armen. Du schaust es an, du erkennst deine ganze Familie in dem kleinen Gesicht. Du riechst diesen ganz besonderen Geruch von frisch geborenen Kindern. Du spielst mit winzigen Fingerchen. Und dann, dann macht das Kind die Augen auf und sieht dich an. Während sich ein Abbild deines Gesichtes unwiderruflich in Millionen winziger Synapsen brennt, stirbst du. Und wirst im selben Moment wiedergeboren, als Vater und du hältst DEIN Kind in den Armen.

Du dachtest vielleicht, du liebst deine Frau, wie sonst nichts auf der Welt. Aber dieser eine Blick, aus diesen tiefschwarzen Augen, der brennt sich durch dein Bewusstsein direkt in dein Herz und erfüllt es mit einer Liebe, für die es ein ganz neues Universum bräuchte, um darin Platz zu finden. Du weißt plötzlich, du willst dieses Kind, dein Kind, lieben und ehren, in guten, wie in schlechten Zeiten und es bis auf den Tod verteidigen und jede Zelle in deinem Körper sagt: "Ja, ich will!"

Und so, meine Lieben, fühlt sich eine Geburt für Männer an. Wir können bloß nicht so gut drüber reden.

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28 comments on “Wie ich Vater wurde”

  1. Wow. Sehr schön auch einmal die andere Seite zu hören. Leider vergessen wir Frauen glaube ich häufig, dass die Geburt auch für euch Männer ein verstörendes und gleichzeitig wundervolles Erlebnis ist.
    Vielen Dank für diesen offenen Text 🙂

  2. Danke, ich weine, weil ich mit meinem verstorbenem Mann nicht mehr darüber reden kann und ich weiß, wie sehr er bei den Geburten unsere Söhne mit mir gelitten hat und sich genauso fühlte. DANKE für den Einblick in Deine Gedanken

  3. Liebe Kommentatoren und Leser,

    ich bin absolut überwältigt von der Reaktion auf diesen Text. Vielen, vielen Dank für das ganze Lob und die berührenden Worte. Und ich glaube, das gibt meiner These recht: wenn ein einfacher Text über ein Jahre zurück liegendes Ereignis (knapp 6 bzw. knapp 10 Jahre) so aufgenommen wird, dann muss dieses Ereignis eine große emotionale Wirkung haben. Vielleicht zu groß, um angemessen darüber zu schreiben. Bei mir hats ja auch lange Zeit gedauert, bis ich das in Worte fassen konnte.

  4. Lieber Martin, schön wie du das geschrieben hast und es freut mich dass du das alles so empfunden hast. Ich möchte aber nur mal anmerken, dass es nicht jedem Vater so geht. Mein Mann kannte auch nur diese Seite (wie von dir geschildert) durch Freunde. Bei der Geburt unserer ersten Tochter hat er genau darauf gewartet, doch es kam nichts. Dieses Gefühl blieb aus, es durchdrang ihn keine Liebe, er wurde nicht vom Blitz getroffen... Warum hat er diese Gefühle nicht von denen alle erzählen? Er fühlte sich schrecklich weil er dachte er wäre kein guter Vater weil es nicht so war wie die Erzählungen der Freunde es vorhersagten. Das hat ihn sehr belastet.... Seine Liebe ist langsam gewachsen und er ist heute ein liebender Vater von 2 Töchtern.
    Also werdende Väter, wenn ihr das nicht so fühlt, dann ist das kein Weltuntergang. Das Gefühl kommt mit der Zeit, die Liebe muss nicht immer wie ein Blitz einschlagen, sie kann auch langsam wachsen, deshalb könnt ihr genau so tolle Väter sein.

  5. Wie schön geschrieben. Und wie unterschiedlich es mein Kerl sehen würde. Weil es einfach so ganz anders war. Weil er sich niemals so ausdrücken könnte. Und weil er niemals diese schönen Worte finden könnte. Das ist einfach ein wundervoller Text!

  6. Wow. Ich sitze hier und weine, so schön wie du es beschrieben hast. Die Geburt unserer kleinen Prinzessin ist erst 14 Wochen und 2 Tage her. Mein Mann kann es nicht beschreiben, wie er sich gefühlt hat. Ich denke, dass wir Frauen das alles plastisch beschreiben, liegt daran, dass wir den Großteil dank der Hormone wieder vergessen.
    Deine Gefühle hast du wundervoll in Worte gekleidet!

    Liebe Grüße

  7. Als Frisch-Papa kann ich die hier beschriebenen Gefühle nur bestätigen.

    Leider wurde uns die Empfindung der natürlichen Geburt genommen (oder sollte ich sagen zum Glück für meine Frau?). Nach knapp drei Tagen Wehen, verpatzter PDA (wurde angesetzt, um die Mutter-Kind-Beziehung mit den bereits lang andauerndem Schmerz nicht zu gefährden - hielt ganze 45 Minuten!) und Geburtsstillstand (zwei Stunden lang hat sich, trotz heftigster Wehen, nichts getan), hatten sich die Ärzte für einen Notkaiserschnitt entschieden. Für meine Frau war es eine Erleichterung, dieses Martyrium bald beendet zu wissen. Für mich eine Mischung aus Angst (Oh Gott NOT-Kaiserschnitt!), Verzweiflung (Ich kann ihr nicht beistehen - soweit ich ihr überhaupt habe beistehen können.), Angst (Hoffentlich geht da alles gut.), Wut (Warum habt ihr Ärzte sie so lange warten lassen?) und Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass uns das Wunder der Geburt, in seiner reinen Form, nicht vergönnt ist, darüber, dass meine Frau dieses Gefühl, es selbst nicht geschafft zu haben, haben KÖNNTE, darüber, dass ich das Kind nicht abnabeln darf.

    Trotz allem bedeutet dieses kleine Bündel Fleisch, was mir nach knapp 50 Minuten bangen Wartens (die Hölle auf Erden!) auf die Brust gelegt wurde, für mich einfach alles.

  8. […] Martin schreibt auf Mamaskind über die Vier Phasen der Geburt.  Im Kreißsaal wird Mann zum Vater. „Und die Hebamme hält ein rosa-blaues, schmieriges, sehr wütendes Etwas in den Händen und dir wird eine Schere in die Hand gedrückt und eine fleischige, rosa Schnur entgegengehalten und einen absurden Moment lang fragst du dich, ob sich so wohl C-Promis bei der Eröffnung eines Baumarktes fühlen.“ […]

  9. Hallo Martin,

    dein Geburtsbericht ist diese Woche schon der zweite Flashback für mich (neben meiner Verlobung).

    Wenn ich deinen Artikel so lesen, dann freue ich mich total für dich, dass das Erlebte und deine Gedanken in so wunderbare Worte gepackt wurde.

    An vielen Stellen wusste ich sofort, was du damit meinst: die Verzweiflung oder der Moment, in dem du dir bewusst wirst, was deine Frau da eigentlich für einen Wahnsinn auf sich genommen hat, damit ihr eine Famlie sein könnt.

    Du kannst wirklich sehr froh darüber sein, dass du direkt unmittelbar nach der Geburt solche Glücksgefühle empfinden konntest. Mir fiel das ehrlich gesagt etwas schwer. Dafür waren bei mir einfach die Sorgen um meine Frau zu groß. Das haben wir aber alles sehr gut aufarbeiten können und sind nun noch viel glücklicher, als wir es uns je erträumt hätten.

    Ein bisschen neidisch bin ich aber auf jeden Fall, denn ich wäre auch sehr gerne mit deiner Gefühlswelt aus dem Kreißsaal gegangen.

    Ich habe meinen Geburtsbericht (http://rubbelbatz.de/mein-geburtsbericht-aus-sicht-des-vaters/) ca. 1 Woche nach der Geburt geschrieben und wenn ich ihn jetzt noch einmal lese, dann merke ich erst einmal, wie intensiv das ganze für mich war.

    So, jetzt aber nochmal: toller Bericht und schöne Message, die du da verfasst hast!

    Beste Grüße,
    Rubbelpapa

    1. Liebe Rubbelpapa,
      mir war gar nicht bewusst, wie stark das für euch Väter ist. Darüber habe ich ehrlich gesagt auch noch nie nachgedacht. Bei der Geburt habe ich auch nicht auf den Mann geachtet.
      Danke für's Verlinken deines Berichts. Ich finde es ganz wichtig, sowas nach außen zu tragen!
      Liebe Grüße
      Sarah

  10. "Wenn dem Vater aus der Wiege
    Zart und frisch der Knabe lächelt,
    Und die vielgeliebten Züge
    Holde Morgenluft umfächelt,
    Ja! dem Schicksal diese Gabe
    Dankt er mehr als alle Habe:
    Ach es lebt, es wird geliebt
    Bis es Liebe wieder gibt..."

    1. Ein wunderschönes Gedicht! Ich wünschte, ich könnte auch so schreiben. Nun, die im Artikel beschriebenen Ereignisse sind jetzt 13 Jahre her und die Zeit ist nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Deshalb sehen meine literarischen Ergüsse zum Thema Kinder mittlerweile so aus:

      Dem Nachbarn auf die weiße Schindel
      Der Vater warf die Scheissewindel.
      Die rutscht sogleich zum Boden runter
      Und macht den Rhododendron bunter.

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