Sarah Depold
3. August 2015
(Aktualisiert: 23. Juni 2022)

Ein Brief an mein früheres Ich

Liebes früheres Ich,

herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Kind! Ich schreibe dir diesen Brief, um dich zu ermutigen. Kinder bekommen ist schwer, sie zu pflegen und aufzuziehen noch viel mehr. Es wird viele Momente geben, in denen du unsicher bist und dich fragt, wie du das alles schaffen sollst. Du wirst es schaffen. Wie sagt man? Am Ende wird alles gut und wenn nicht alles gut ist, ist es nicht das Ende.

brief-an-mich-stillen
Mein früheres Ich mit Neugeborenem im Krankenhaus - 2010

Unsicherheit als frischgebackene Mama

Was hast du dich verunsichern lassen, als du mit dem Neugeboren im Krankenhaus lagst. Dein Freund war den ganzen Tag bei euch, doch abends musste er nach Hause gehen. Von einem Familienzimmer wusstet ihr nichts. In der Nacht fing dein kleiner Sohn auch an zu schreien und dir war das unangenehm, denn mit dir war eine weitere Mutter auf dem Zimmer. Von den Krankenpflegereinnen konntest du nur wenig Hilfe erwarten. Die andere Mama war es, die dir sagte, dass es doch kein Problem ist, wenn dein Kind schreit, es ist ein Baby und es ist ganz normal! Sie strahlte eine wahnsinnige Ruhe aus, obwohl sie nach einer schweren zweitägigen Geburt mit Kaiserschnitt endete. Ob ich den richtigen Umgang mit diesem neuen Wesen auch lernen würde?

Du sollst nun verantwortlich sein und dich nachts sogar ganz allein um deinen kleinen Sohn kümmern? Was, wenn er runterfällt? Du solltest doch mit ihm auf deinem Bauch kuscheln, sodass er nicht ins Wärmebett muss (Drohung!), und wurdest im Krankenhaus ermahnt, auf keinen Fall mit ihm zusammen einzuschlafen, damit dein Sohn nicht aus dem Bett fällt. Wie sehr hast du dir gewünscht, dass man dich bestärkt und nicht noch mehr Angst macht? Du wurdest teilweise wie ein kleines Kind behandelt, in diesem angeblichen stillfreundlichen Krankenhaus in Brandenburg.

Keine gute Stillberatung im Krankenhaus

Statt einer ausführlichen Stillberatung zu bekommen wurde dir nur kurz das Stillen gezeigt. Die Erinnerung, die du auch fünf Jahre später ans Krankenhaus behalten wirst ist, wie eine Krankenschwester deine Brust nimmt und unsanft in den kleinen Mund des Neugeborenen stopft. Am Ende das Krankenhausaufenthaltes konntest du zwar stillen - allerdings nur mit Stillhütchen, die sie dir aufgedrückt haben. Du musst Geduld haben, das Stillen werden du und dein Sohn noch lernen, mit viel Übung auch ohne Stillhütchen, die man ständig säubern musste und an denen die Milch kleckernd vorbeilief. Ein langer Weg.

Deine Nachsorgehebamme war vom alten Schlag. Das konntest du nicht wissen als sie dir quasi verrmittelt wurde. Immerhin arbeitet sie eng mit der Frauenarztpraxis zusammen. Du dachtest, das muss so. Dass auch sie Drohungen aussprach: "Wenn er nicht besser trinkt, musst du zufüttern!", ist aus heutiger Sicht ein Skandal. Du hast ihr geglaubt und sie dein Kind vor und nach dem Stillen wiegen lassen, sodass sie mit dieser mittelalterlichen Methode feststellen kann, wie gut das Kind trinkt. Du solltest kannenweise Stilltee trinken. Er deine zweite Hebamme, vier Jahre später in Berlin, wird dir zeigen, wie es richtig geht. Du wirst dich bei ihr und im Krankenhaus wohler fühlen. Denn dort wird dein Ehemann dir und dem zweiten Sohn Gesellschaft leisten.

Alles was zählt

Mit deinen 23 Jahren warst du zwar am Ende deines Studiums aber immer noch sehr auf unsicheren Beinen. Du hast viel gelesen, dir Bücher über die Schwangerschaft gekauft und warst Stammlerserin im Schwangeren- und Babyforum. Doch auf die Realität bereitete dich niemand vor. Babys schreien. Bis zur 6. Lebenswoche lt. Remo Largo immer intensiver und erst dann wieder weniger. Dass mein Kind Koliken haben würde, ließ sich in meiner heilen Bücherwelt nicht erahnen. Abwechselnd mit deinem Freund trugst du das wimmernde, teils schreiende Kind besonders nachts durch die Wohnung und hofftest auf Besserung. Irgendwann wird es besser werden. Es wird nur Nähe helfen. Gib sie deinem Kind und dir Zeit, auch diese Phase zu meistern. Du hast einen tollen Mann an deiner Seite, der dich unterstützt, auch in den Folgejahren. Das ist es, was zählt.

Dieser Text ist Teil einer Blogparade von Jana vom Hebammenblog #MeinBriefAnMich.

Kostenlos & ohne Werbebanner: Wunschzettel-App bitte.kaufen

12 comments on “Ein Brief an mein früheres Ich”

  1. Uff, ich wüsste gar nicht, was ich mir schreiben wollen würde, denn viele Unsicherheiten von damals sind auch heute wieder da, besonders in Bezug auf Stillen...alles gar nicht so einfach und sehr persönlich. Starke Worte, die man hier bei Dir liest und es ist so schade, dass man dir den Einstieg in diesen wundervollen "Job" so schwer gemacht hat. Aber du bist ja super reingewachsen <3

    1. Ich möchte gerne Mut machen! Es kann gut laufen, wenn man die richtigen Personen an der Seite hat. Heute muss man wohl eher Glück haben, überhaupt noch eine Hebamme zu bekommen. 🙁
      Vertrau auf dich und deine Fähigkeiten!

  2. Das könnte wirklich mein Brief sein. Mit sehr vielen Dingen ging es mir einfach genauso. Gerade deshalb ist es gut ein zweites Kind bekommen zu haben. Viele Dinge waren einfach klar und man macht sich oft nicht so viele Gedanken.

    1. Ja stimmt!
      Das zweite Kinder läuft nebenher, hörte ich oft. Tatsächlich bin ich viel gelassener und habe nicht so viel Angst. Vorsichtig bin ich noch immer (mein 1. Sohn wurde z. B. mal vom Hund der Schwiegereltern gebissen), aber nicht mehr so hysterisch. Hoffe ich zumindest. 😀

  3. Ich finde diese Briefe alle wahnsinnig berührend und interessant zu lesen, da es beim ersten Kind anscheinend bei den meisten schwierig war. Krankenhaus und Hebammen trugen ihren Teil dazu bei, wie bei mir leider auch. Echt traurig, dass der Start selten so war, wie vorgestellt. Danke für Deinen Rückblick, ich mag es sehr gern, Menschen auch mal so kennenzulernen.
    Liebe Grüße!

    1. Liebe Frühlingskindermama,
      danke für deinen Kommentar!
      Ich finde es gut, dass so viele im Rahmen dieser Aktion zeigen, dass nicht alles schön war und eben auch die Punkte zeigen, an denen es gehakt hat. Vielleicht hilft das Schwangeren und Jungmüttern dabei, gleich selbstbewusster zu sein und die Meinung zu sagen.
      Liebe Grüße
      Sarah

  4. Puh. Ich weiß nicht, wie es mir ergangen wäre in so einer Klinik. Harter Tobak. Man lässt sich am Anfang sooo leicht verunsichern, von vermeintlichen Experten, das ist echt traurig.
    So war das bei uns mit der ersten Kinderärztin. Darüber schreibe ich dann in meinem Brief.

    Im Nachhinein ärgert es mich wahnsinnig, dass ich mir so viel hab reinquatschen lassen. Aber man wollte halt alles richtig machen. :/

  5. Ach, vielen Dank!

    Diese ganzen Briefe sind so schön und zugleich auch traurig, wenn man sieht, wie viel verunsichert und wie wenig unterstützt wird. Dabei gibt es auch tolle Hebammen und Stillberaterinnen 🙂 Wir hatten Glück, sowohl bei unserem Küstenjungen als auch bei unserem 2. Wunder... Bei dieser Hilfe, die gerade in den ersten Tagen und Wochen so wichtig ist, darf nicht weiter gekürzt werden!

    Viele liebe Grüße, Küstenmami

    1. Toll, dass es bei dir so super lief. An Hand der Blogposts dazu ist es wohl echt eine Seltenheit. Ich frage mich, wie die Probleme der Mütter aufgefangen werden sollen, wenn überall gekürzt wird. 🙁

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Uns gibt es auch hier:
Copyright 2019-2024 - bitte.kaufen - Mein Wunschzettel